
Nicht nur Vorgesetzter, sondern auch Mensch
Er ist eines der Gesichter von Vitos Haina: Fast 28 Jahre lang hat Rudi Rassner in der Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie gearbeitet. Jetzt verabschiedet sich der stellvertretende Pflegedienstleiter in die passive Phase der Altersteilzeit. Als Quereinsteiger in die Pflege gestartet, sagt der 63-jährige Herbelhäuser rückblickend: Alles richtiggemacht!
Können Sie sich noch an Ihren ersten Arbeitstag in Haina erinnern? Mit welchen Erwartungen sind Sie ins Gesundheitswesen gestartet?
Ich wusste durchaus auf was ich mich einlasse. Denn bereits während meiner Ausbildung zum Krankenpfleger im Stadtkrankenhaus in Bad Wildungen hatte ich im Frühjahr 1994 ein externes Praktikum auf der damaligen Station 14.1 unserer heutigen Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie absolviert.
Von der Bundeswehr ins Krankenhaus? Was waren damals Ihre Beweggründe für die berufliche Neuorientierung?
Als Zeitsoldat war mein Werdegang bei der Bundeswehr vorgezeichnet. Und doch kam alles anders. Ausschließlich private Gründe haben mich damals dazu bewogen, nicht Berufssoldat zu werden. Ein im Sanitätsdienst eingesetzter Kamerad hat mir die Augen für die Pflege geöffnet. Im Rahmen einer Umschulung habe ich dann 1991 mit der Ausbildung zum Krankenpfleger begonnen. Das war schon ein Sprung ins kalte Wasser. Als Vorgesetzter hatte ich bei der Bundeswehr Verantwortung für weit mehr als 100 Kameraden. Und dann war ich plötzlich wieder Schüler. Meine Entscheidung zur beruflichen Neuorientierung hätte auch falsch sein können. Aber schon nach kurzer Zeit war mir klar, dass ich mich für den richtigen Weg entschieden habe. Und diese Überzeugung ist bis heute geblieben.
Warum Psychiatrie und nicht Somatik?
Ich hatte erst in meinem dritten Ausbildungsjahr meinen Psychiatrieeinsatz. Erst dabei ist mir wirklich klargeworden, dass man nicht nur halsabwärts krank werden kann und dass es halsaufwärts mehr als Zahnschmerzen gibt.
Ursprünglich stand für mich fest, dass ich nach der Ausbildung dem Stadtkrankenhaus treubleiben wollte. Doch diese Entscheidung habe ich schon während des Einsatzes in Haina revidiert. Warum? Weil die Zeit für und die Kommunikation mit den Patienten – beides Dinge, die in der Somatik oftmals zu kurz kommen – in der Psychiatrie die entscheidenden Behandlungsinstrumente sind. Und auch das berufsgruppenübergreifende Wirken hat mich fasziniert. Das waren seinerzeit die Argumente, warum ich der Somatik den Rücken gekehrt habe.
Neue Zeiten, neue Herausforderungen? Wie hat sich die Arbeit in der psychiatrischen Pflege verändert?
Die Arbeitsbedingungen sind unweigerlich mit dem Fortschritt und den gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen verknüpft. Ob alle Entwicklungen positiv waren, bleibt der Wertung des Einzelnen überlassen. Fakt ist allerdings, dass der administrative Aufwand, insbesondere der Nachweis über das tägliche Tun, deutlich gestiegen ist. Da unsere wöchentliche Arbeitszeit aber gleichgeblieben ist, muss man sich heute deutlich mehr strukturieren, um ausreichend Zeit zu haben, mit dem Patienten in ausreichendem Kontakt zu bleiben.
Vom pflegerischen Mitarbeiter zum Stellvertreter der Pflegedirektorin: Welche Facetten Ihrer vielfältigen Tätigkeiten haben Sie besonders erfüllt?
Die Möglichkeit, Projekte und Entwicklungen mitzugestalten. Und am Ende auch die Verantwortung dafür zu übernehmen.
Sie waren viele Jahre Vorgesetzter: Worauf haben Sie bei der Zusammenarbeit stets besonderen Wert gelegt?
Das Mitnehmen der pflegerischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch eine möglichst ausreichende Kommunikation. Damit die Kolleginnen und Kollegen Veränderungen unterstützen, müssen sie die Notwendigkeit und die Hintergründe verstehen. Wichtig war mich auch immer, dass ich nicht nur als Vorgesetzter, sondern auch als Menschen gesehen werde, dem man vertrauen und sich anvertrauen kann.
Sie haben im Zentrum für soziale Psychiatrie Haina begonnen und haben die Gründung von Vitos Haina 2008 miterlebt. Welche Meilensteine sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Meine Weiterbildung zum Fachkrankenpfleger für Psychiatrie hat meine Sichtweise auf den Begriff „psychisch krank“ nachhaltig verändert. Denn die Psychiatrie ist während der Ausbildung einfach zu kurz gekommen. Dann natürlich mein Wechsel 2006 in die Pflegedienstleitung und die damit verbundene Weiterbildung in Heidelberg.
Dritter Punkt: Die Entscheidung von Vitos, nicht nach Frankenberg zu gehen und dort eine neue Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie zu eröffnen. Auf den Standort Haina zu setzen empfinde ich, wie übrigens viele meiner Kolleginnen und Kollegen auch, als einen der wichtigsten Meilensteine überhaupt.
Und zuletzt die Implementierung der stationsäquivalenten Behandlung – kurz StäB. Wir holen die kranken Menschen da ab, wo sie leben. Und werden jedem einzelnen Schicksal gerecht. Der Ausbau der gemeindenahen Psychiatrie mit vier Ambulanzen in Haina, Korbach, Bad Wildungen und Frankenberg, zwei Tageskliniken in Korbach und Bad Wildungen und den beiden Teams von Vitos Behandlung Zuhause – das ist eine sehr gute Entwicklung, von der die Menschen extrem profitieren.
Was zeichnet Vitos im Allgemeinen und die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Haina im Speziellen aus?
Vitos ist bekanntlich der Marktführer in der hessischen Psychiatrielandschaft und Haina ist Teil von Vitos. Wobei Vitos Haina als einer der größten Arbeitgeber in der Region noch einmal einen Sonderstatus hat, denn viele Kolleginnen und Kollegen stammen von hier. Dass Patienten die Mitarbeiter zum Teil aus ihrem privaten Umfeld kennen, schafft bei Betroffenen und Angehörigen zusätzliches Vertrauen in die Leistung der Einrichtung.
Sie stammen aus der Region und sind eines der Gesichter von Vitos Haina. Fällt Ihnen der Abschied schwer?
Ein klares Jein. Ich werde sicherlich mehr Zeit für andere Dinge haben, insbesondere wird mehr Raum für die Familie und meine Hobbys, wie beispielweise die Jagd sein. Aber die gewohnte Struktur durch den Arbeitsplatz, wird erst einmal fehlen. Dessen bin ich mir bewusst. Ich bin allerdings guter Dinge, dass sich das einspielt.
Mit dem Eintritt in den Ruhestand beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Haben Sie bereits Pläne, wie Sie diesen gestalten möchten? Worauf freuen Sie sich am meisten?
Ich habe ganz bewusst keine Pläne für den Ruhestand gemacht. Ich werde in den nächsten Wochen sehen, wo ich gegebenenfalls nachsteuern muss. Einen festen Fahrplan möchte ich aber nach Möglichkeit vermeiden. Ich glaube, das ist auch der Punkt, auf den ich mich wirklich freue: Den zeitlichen Rahmen für private Projekte offener gestalten zu können.
Mein persönliches Fazit: Alles richtiggemacht!
